Verschärfte Mobilmachung in der Ukraine: Zunehmend kriegsmüde
Gut zwei Jahre Krieg zermürben die Männer an der Front und ihre Familien daheim. Selenskyjs neue Kriegsgesetze dürften kaum auf Zustimmung stoßen.
E s war eine Frage der Zeit, jetzt ist es soweit: Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Unterschrift unter mehrere Kriegsgesetze gesetzt, die die Mobilmachung neu regeln. Dabei birgt die Absenkung der Altersgrenze von 27 auf 25 Jahre noch vergleichbar überschaubares Erregungspotenzial. Schwerer wiegt eine umfängliche Erfassung der persönlichen Daten von Personen im wehrfähigen Alter in einem staatlichen Register.
Warum dazu Angaben zu deren Eltern gehören oder Auslandsreisen der Betroffenen abgefragt werden, erschließt sich nicht wirklich. Auch eine erneute medizinische Überprüfung „eingeschränkt tauglicher“ Männer dürfte bei den Betroffenen auf wenig Begeisterung stoßen. Warum Selenskyj solange gezögert hat, ist klar. Dieser Schritt kommt einem Offenbarungseid gleich.
Der Ukraine fehlt es nicht nur an Waffen und Munition, um sich verteidigen, geschweige denn russisch besetzte Gebiete zurückerobern zu können. Auch frische Kräfte für die Armee sind Mangelware. Diese zu rekrutieren, wird schwieriger. Die Bereitschaft, sich freiwillig zum Dienst an der Waffe zu melden, schwindet, auch wenn immer noch die Mehrheit der Ukrainer*innen Konzessionen an Russland eine Absage erteilt.
Mehrfach kam es in den vergangenen Monaten zu Kundgebungen Angehöriger von Soldaten, die in Sorge um ihre völlig erschöpften Söhne und Männer sind. Das alles sind sehr deutliche Indizien für eine wachsende Kriegsmüdigkeit. Dass der Druck im Kessel steigt und die Nervosität wächst, zeigen auch Selenskys Personalrochaden. Nach dem unfreiwilligen Abgang des Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Walery Saluschnyj, kam es zu einem Wechsel im Nationalen Sicherheitsrat.
Jetzt wurden auch noch einige Berater des Präsidenten abserviert. Angesichts dieser angespannten Lage klingt das Mantra von Kyjiws Verbündeten „as long as it takes“ zusehends hohl. Wirkliche Unterstützung und vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen